Die alte Kunst des Shaolin Kungfu

Von Einem der auszog, Kungfu zu lernen

 

Johannes mit seinem Meister Wu Nan Feng

 

Der Traum vieler Kampfsportbegeisterter in der ganzen Welt ist es, einmal im Leben zum Shalin-Kloster zu reisen um mit den Meistern Kungfu zu trainieren. Als dort im Jahre 1988 die offizielle Kungfu-Schule des Shaolin-Klosters eröffnete, wurde dieser Traum Wirklichkeit. So reiste auch der junge Deutsche Johannes vor einigen Jahren zum ersten mal nach Shaolin, um dort das alte Shaolin-Kungfu zu trainieren. Diese Reise hat seine Leidenschaft fr das traditionelle Shaolin-Kungfu erst recht geweckt und so folgten wetere Aufenthalte von mehreren Monaten. Sein Wunsch war es, wie die chinesischen Schüler Kungfu zu trainieren und so zu leben. In dem nachfolgenden Interview erzählt Johannes von seinen Erfahrungen und Eindrücken aber auch von seinen persönlichen Veränderungen, die er dort erfahen hat.

 

Ich traf Johannes im Oktober2003 in Shaolin. Er lebte zu dieser Zeit in der kleinen Schule seines Meisters Wu Nan Feng. Die Schule befindet sich ca. 10 Autominuten vom Shaolin Kloster entfernt in einem kleinen Dorf direkt am Fuße des Song Shan Berges. Ein chinesischer Schüler kam mir entgegen und führte mich zu einem schlichten zweigeschossigen Gebäude, das wie sich später herausstellte, Schule und gleichzeitig Wohnhaus für Meister und Schüler war. Nach einer freundlichen Begrüßung und einer kurzen Plauderei mit dem Meister bei einer Tasse grünem Tee, besuchte ich schließlich Johannes in seinem Zimmer. Dies war ein kleiner Raum mit Etagenbetten, den sich der „Lao Wei“ mit bis zu fünf chinesischen Schülern teilte. Lao Wie bedeutet „alter Fremder“ und ist in China eine freundliche Bezeichnung für Ausländer.

Johannes, was hat dich im Jahre 2002 dazu veranlasst, nach Shaolin zu reisen und welche Vorstellung hattest du?

Johannes: Wer vorhat nach Shaolin zu reisen, sollte keine Vorstellungen und keine Erwartungen haben. Trotzdem hat jeder, wie auch ich, bei meiner ersten Reise doch ein gewisses Bild über den Mythos Shaolin im Kopf. Im April 2002 reiste ich zum ersten mal alleine nach Shaolin. Allerdings komplett organisiert über eine gute Reiseagentur, die sich auf solche Reisen spezialisiert hat. Ich wurde in der Schule des Shaolin-Klosters „Wushu-Guan“ untergebracht, die zu einer der grössten in Shaolin gehört.Das Shaolin-Kloster hatte sich in den letzten 20 Jahren zu einer Touristenattraktion entwickelt. Wegen der vielen Besucher gab es rund um das Kloster viele Souvenierverkäufer. Es gab außerdem mindestens 20 private Kung-Fu Schulen und es trainierten auch einige Ausländer dort. Aber im letzten Jahr hat sich doch sehr viel hier in Shaolin verändert. Die Regierung hat alle Gebäude rund um das Kloster abgerissen und die Geschäfte sowie die Kungfu-Schulen in die nahe Kreisstadt Dengfeng umgesiedelt. Die Gebäude wurden durch Grünanlagen ersetzt. Heute ist es in Shaolin wieder ruhiger.

Ich glaube für jeden Ausländer, der zum ersten Mal nach Shaolin reist, ist die erste Woche die härteste, aber auch die schönste. Die Umstellung von deutschen Wohlstandsverhältnissen in den chinesischen Alltag in Shaolin ist sehr krass. Die hygienischen und sanitären Verhältnisse, das ungewohnte Essen und dann noch das tägliche Training. Wer in Zukunft vorhat, nach Shaolin zu reisen, sollte damit umgehen können. Auf der anderen Seite erlebte ich in den ersten Tagen auch sehr viel Schönes. Die Landschaft und Natur sind beeindruckend. Die Chinesen dort sind sehr aufgeschlossen und man spürt, dass man an einem besonderen Ort ist.

Du hast bei deinem ersten Aufenthalt hier in Shaolin in Wushu-Guan trainiert. Was hat dich dazu bewogen, nun in einer kleinen und sehr einfachen Kungfu Schule zu leben und zu trainieren?

Johannes: Für jemanden, der dort für eine kurze Zeit Kungfu trainieren will, ist es sehr gut. Wie alle ausländischen Schüler will man in der kurzen Zeit, die man schon mal dort ist, so viel Kungfu lernen wie möglich und mit nach Hause nehmen. Die Meister dort können sich gut auf die ausländischen Schüler einstellen. Außerdem ist es schon wirklich was besonderes, einmal im Shaolin zu trainieren. Aber ich wollte einfach noch einen Schritt weitergehen. Ich wollte immer versuchen, das alte Shaolin Kungfu zu trainieren. Natürlich war ich mir bewusst, dass ich dies nicht in einigen Wochen lernen konnte. Und ich wollte wirklich so leben, wie die chinesischen Schüler – mit allen Konsequenzen.

Ich hatte von verschiedenen Quellen erfahren, dass es auch noch das alte, traditionelle Shaolin Kung-Fu geben sollte. Dieses aber nur versteckt in den Bergen und sogar ohne das Wissen vieler Mönche im Kloster existierte.

Unbeeindruckt davon begab ich mich auf die Suche. Durch viele glückliche Zufälle und nach langen Umwegen begegnete ich in dieser Zeit zum ersten Mal dem Shaolin Mönch Shi Dejian. Da ich zu dieser Zeit noch kein Chinesisch konnte, begleitete mich ein chinesischer Freund, der mir bei der Übersetzung behilflich war. Ich erinnere mich noch heute ganz genau an diese erste Begegnung: Es war seit langem einer der aufregendsten Momente in meinem Leben. Dieser Mönch ist einer der letzten Kungfu-Meister in ganz China, der das Shaolin Xinyiba beherrscht. Nachdem er mich fragte, warum ich zu ihm gekommen sei, erklärte ich ihm, dass ich von ihm Unterricht in Kungfu haben wollte. Darauf hin lächelte er und stellte mir ein paar Fragen, in denen er meine Entschlossenheit testen wollte. Nach unserem Gespräch erklärte ich ihm, dass mein Visum jetzt ablaufen würde und mein Rückflug nach Deutschland gebucht war, ich aber auf jeden Fall zurückkommen wolle. Er erklärte mir, dass er mich, falls ich zurückkäme, nicht unterrichten könne. Zum einen weil er noch andere Aufgaben als Arzt hat und er grundsätzlich keine Ausländer unterrichten würde.

Da war deine Enttäuschung bestimmt groß. Jetzt triffst du endlich einen wahren Meister des traditionellen Xinyiba Kungfu und er kann dich nicht unterrichten.

Johannes: Dieser Mönch machte mir aber den Vorschlag, dass ich vielleicht bei einem seiner Schüler trainieren könne. Also bestand doch noch Hoffnung. Einen Monat später war ich wieder in Shaolin. Nach langem hin und her und guten Kontakten zu einem Freund des Meisters traf ich ihn das zweite Mal. Bei diesem Treffen lernte ich dann auch seinen Trainingsbruder kennen, meinem jetzigen Meister Wu Nan Feng. Bei diesem Meister trainierte ich dann täglich versteckt im Wald mit ungefähr 15 anderen chinesischen Schülern. Wir trainierten täglich sieben Stunden Kung Fu - bei 40 Grad Hitze. Und wer glaubt, ich hätte dort irgendwelche geheimnisvollen Dinge gelernt, der irrt sich.

Der Shaolin-Mönch Shi DeJian gilt als einer der letzten Meister des Xinyiba Kungfu’s

 

Das Training empfand ich anfangs als eintönig. Keine Saltos, keine Waffen, kein Kampf, nichts was man von den berühmten Shaolin-Filmen her kennt. Für meine chinesischen Mitschüler war ich der erste Ausländer, zu dem sie Kontakt hatten und so gab es anfangs noch einige Berührungsängste. Außerdem konnten sie sich einfach nicht vorstellen, dass auch ein Ausländer dieses Kung Fu trainieren will. Nach drei Monaten musste ich dann nach Deutschland zurückkehren, um persönliche Angelegenheiten zu regeln.

Warum bist du trotz deiner anfänglichen Schwierigkeiten dann später doch wieder nach Shaolin zurückgekehrt?

Johannes: Auch mein Meister Wu Nan Feng dachte, dass ich aufgrund des harten Trainings bestimmt nicht nach Shaolin zurückkehren würde. Ich war halt nur der Lao Wei, der Ausländer, von dem keiner so richtig glaubte, dass er dieses harte Training durchhält. Aber neun Monate später fuhr ich wieder nach Shaolin. Wie schon anfangs erwähnt, hatte sich hier einiges verändert. Alle Schulen, Restaurants, Souvenirstände und Wohnhäuser um das Shaolin-Kloster herum waren abgerissen. So auch die Schule meines Meisters. Also machte ich mich am nächsten morgen auf die Suche. Gegen Mittag stand ich dann mit meinem Gepäck vor der neuen Schule meines Meisters. Die Überraschung seinerseits war sehr groß, hatte er doch an meiner Entschlossenheit und meinem festen Willen gezweifelt. Ich nahm dann auch gleich das Training auf. Diesmal wohnte ich mit den anderen chinesischen Schülern in einem Zimmer, lebte und trainierte mit ihnen zusammen. Das war sehr wichtig für mich. Nur so konnte ich das chinesische Leben, die Mentalität und vor allem die Sprache richtig lernen. Und das war wirklich nicht einfach. Mit so vielen Leuten auf einem Zimmer hat man wirklich kaum noch Privatsphäre. Das tägliche Leben in China – und vor allem hier in Shaolin - ist wirklich sehr einfach. Für mich alltägliche Sachen wie z.B. fließend Wasser und Heizung sind hier nicht selbstverständlich. Aber ich bin hierher gekommen, um Shaolin Kungfu zu lernen und nicht in der Erwartung, hier westlichen Komfort zu bekommen.

Wie sieht nun dein Training aus? Was hat sich etwas seit deinem letzten Aufenthalt verändert?

Johannes: Diesmal hatte sich meine Situation verändert. Da mein Meister Wu Nan Feng erkannte, wie sehr ich mich anstrengte und dass ich trotz dieser langen Zeit wieder zu ihm zurückgekommen bin, akzeptierte er mich nach einiger Zeit als seinen Schüler. Ich war also nicht mehr der Ausländer, der Kungfu lernen wollte, sondern bin jetzt sein ausländischer Schüler. Auch meine Sichtweise hat sich verändert. Ich möchte gerne das alte traditionelle Kungfu erlernen und bin jetzt auch bereit dazu. Wenn ich anfangs doch etwas enttäuscht war von der Monotonie der Bewegungen, weiß ich jetzt, das dies dazu gehört. Ich will dieses Kungfu von Grund auf erlernen und das braucht nun mal seine Zeit. Mein Meister sagte einmal zu mir: „Gieße dein Glas ganz aus, nur dann kann ich es wieder füllen.“ Ich muss mich frei machen von all meinen Erwartungen und Wünschen. Nur so kann ich Kungfu richtig lernen und viel vom Wissen meines Meisters bekommen. Nach 4 Monaten hatte ich meine erste Form gelernt. Dazu habe ich jeden Tag hart trainiert. Von morgens 4.30 Uhr bis 18.00 Uhr abends.

Was bedeutet dir Kungfu?

Johannes: Für mich persönlich ist Kungfu nicht Sport oder Wettkampf, sondern eine alte traditionelle Kunst, die in den Bergen des Shaolin Klosters entstanden ist. Und die gilt es zu bewahren und weiterzugeben. Der Shaolin-Mönch Shi DeJian, der mich damals zu meinem Meister Wu Nan Feng brachte, sagte einmal: „Wer irgendwann einmal das Shaolin Kungfu an andere weitergeben will, darf die Reinheit im Herzen nicht verlieren.“ Ich habe für mich im Kungfu meinen Weg gefunden.

Ich danke dir sehr für dieses Gespräch und wünsche dir auf deinem Weg alles Gute.

 

Text u. Fotos:

Jörg Multhaupt

 

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